Die Streutalallianz unterstützt die medizinische Grundversorgung im Streutal.
Ein Horror-Szenario, welches in den vergangenen Monaten immer öfter zur Realität wurde: Eine Arztpraxis schließt und die Patientinnen und Patienten wissen nicht wohin. Fast verzweifelt suchen die Menschen dann in der Region nach Hausärztinnen und Hausärzten, die noch freie Kapazitäten haben. Doch meist haben die Praxen in Rhön und Grabfeld einen Aufnahmestopp. Was früher undenkbar war, ist mancherorts heute bittere Realität geworden. Die Prognosen für die hausärztliche Versorgung in ländlichen Regionen, gerade hier in der Rhön, sehen in Zukunft sehr düster aus. Was kann die Streutalallianz dagegen unternehmen? Die Streutalallianz steht deshalb bereits seit ihrer Gründung mit den örtlichen Hausärztinnen und Hausärzten und den Landtagsabgeordneten in Verbindung. Deshalb unterstützt die Streutalallianz seit vier Jahren die Projektidee der HeimatUnternehmer Bayerische Rhön. Die hierzu bald startende Studie wird von der Universität Bayreuth durchgeführt und von den örtlichen Hausärztinnen und Hausärzte unterstützt.
Die Idee der „Dorfschwester“, so der damalige Arbeitstitel, entwickelte sich immer weiter. Ältere Menschen können sich noch an diese erinnern. Damals kümmerten sich in kleineren Dörfern und Ortschaften ausgebildete Krankenschwestern um die Gesundheit der Bevölkerung zu ausgewiesenen Sprechstunden. Ausgebildete Ärzte waren schon damals auf dem Land eine Seltenheit.
Durch viele persönliche Treffen und Telefonate zwischen den Bürgermeistern der Streutalallianz, Landtagsabgeordneten, HeimatUnternehmern, Ärzteverbänden, der Kassenärztlichen Vereinigung, dem Hausärzteverband Bayerns, Universitäten, dem Landesamt für Gesundheit, dem Zentrum für Telemedizin Bad Kissingen und einigen Krankenkassen wurde das Vorhaben so weit konkretisiert, dass eine Projektskizze entstand. Die praktizierenden Ärztinnen und Ärzte der Region brachten noch ihre Erfahrungen aus der medizinischen Versorgung im ländlichen Bereich ein.
Die Lage ist auch 2023 sehr ernst. Denn aktuell besteht zwischen Oberstreu und Fladungen formal eine hausärztliche Überversorgung, die durch die derzeit acht Hausarztpraxen im Streutal begründet ist. Allerdings ist ein Großteil der praktizierenden Ärztinnen und Ärzte älter als 65 Jahre. Lediglich drei von ihnen sind unter 65 Jahren. Wenn in den nächsten Jahren keine Nachfolger für diese Praxen gefunden werden, müssen diese schließen. So wäre die hausärztliche Versorgung in den Dörfern nur schwer bis gar nicht zu gewährleisten. Schon jetzt sind die Hausärzte voll ausgelastet und werden nicht alle Patientinnen und Patienten der anderen Praxen aufnehmen können. Um weite Anfahrtswege zu den Arztpraxen zu verhindern, wurde „Versorgt am Ort“ (ehemals VERAH am Ort) entwickelt. So sollen auch junge Mediziner fürs Streutal begeistert werden.
Medizinische Versorgung vor Ort und im Ort
„Für die derzeitige und kommende Versorgungs-Situation, speziell im Streutal, brauchen wir innovative und neue Konzepte. Wir benötigen eine medizinische Versorgung vor Ort und im Ort. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und Krankenhäuser sind dafür nicht die universelle Lösung, da sie als zentrale Anlaufstellen nur dem entsprechend mobilen Anteil der Bevölkerung dienen“, sind sich alle Projektbeteiligten einig. Früher waren Hausärzte vormittags in der Praxis und nachmittags bei den Patientinnen und Patienten Zuhause. Doch aufgrund der hohen und stetig steigenden Patientenzahlen vor Ort ist das kaum noch möglich. Nahezu alle Ärztinnen und Ärzte arbeiten bereits mit speziell ausgebildeten und erfahrenen medizinischen Fachangestellten, sogenannten Versorgungsassistenten/Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH) bzw. Nichtärztliche Praxisassistentin/Praxisassistent (NäPa). Diese übernehmen Hausbesuche und führen dort ausgewählte, von den Ärztinnen und Ärzten an sie delegierte Leistungen durch.
Versorgung durch ortsgebundene VERAH
Die Idee baut auf der jetzigen Arbeitsweise auf und möchte die ausschließlich zu Hause stattfindende Versorgung von Patinnen und Patienten durch eine VERAH durch ein ortsgebundenes Angebot ergänzen. Das Konzept sieht vor, dass die Streutalgemeinden Räumlichkeiten zur Verfügung stellen, welche von den VERAH genutzt werden, um dort die Patientinnen und Patienten der Hausbesuche zu sehen. Hierdurch sollen Fahrzeiten eingespart, der persönlichen Kontakt zu den Patientinnen und Patienten gestärkt und direkt im Ort versorget werden. In Situationen, in denen es den fachkundigen Rat eines Arztes bedarf, wird dieser sofort kontaktiert. Dann wird entweder ein persönlicher Termin in der Praxis vereinbart oder gleich am Telefon über das weitere Vorgehen entschieden. Diese zusätzliche Beratung wird mit moderner Telemedizin zur Übertragung von Bildern oder Videos unterstützt. So könnte die Bevölkerung im Streutal weiterhin eine medizinische Grundversorgung vor Ort und im Ort erhalten.
Diese ortsgebundene Leistung der VERAH wird im Vergleich zu den etablierten Hausbesuchen im deutschen Gesundheitssystem noch nicht abgebildet und auch nicht vergütet. Derzeit beschäftigen sich die Streutalallianz, die Projektpartner vor Ort und ein Team der Universität Bayreuth um Dr. rer. pol. Reiner Hofmann und Gesundheitsökonomin Julia Bräuer damit, wie solche ortsgebundenen VERAH-Leistungen in der Praxis abgerechnet werden können und wie ein rechtlicher Rahmen aussehen kann. Hierfür muss in einer wissenschaftlichen Studie die neue Art der Versorgung sowohl auf medizinische als auch auf wirtschaftliche Eignung hin bewiesen werden.
Eine weitere Förderung des innovativen Vorhabens ab Januar 2023 durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege ist nun in Höhe von knapp einer halben Million Euro gesichert. Die Vertreter der Streutalallianz und alle Projektbeteiligten sind sich sicher, dass durch die weitere sehr gute Zusammenarbeit die hausärztliche Versorgung im ländlichen Raum erhalten bleiben wird. Bisher sicherten fünf Praxen und deren VERAH aus dem Streutal ihre Unterstützung zu. Es können jederzeit neue Praxen in das Vorhaben aufgenommen werden.
Das Projekt „Versorgt am Ort“ soll nun zeigen, ob es sich für Arztpraxen, Krankenkassen und die Bevölkerung lohnt, die beschriebene Idee dauerhaft umzusetzen und die gesetzlichen Regelungen dafür zu schaffen. Hierfür wird „Versorgt am Ort“, wie oben beschrieben, wissenschaftlich untersucht. Damit die Arbeit der Universität und der Ärztinnen und Ärzte finanziert werden kann, unterstützte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek schon im Frühjahr 2022 die Prüfung der Machbarkeit und Vorbereitung der Studie mit 50.000 Euro. In einer Pressemitteilung erklärt er:
„Unser Ziel ist ein neues Versorgungsangebot, mit dem VERAHs – neben den bisherigen Hausbesuchen – von Hausärztinnen und Hausärzten auch beauftragt werden können, Patientinnen und Patienten zu versorgen, die noch hinreichend mobil sind. Während die Hausarztpraxen häufig mehrere Kilometer weg sind, sollen die VERAHs künftig in einzelnen Ortschaften des Landkreises Rhön-Grabfeld stundenweise Patientinnen und Patienten in festen Räumlichkeiten betreuen. So wird der Anfahrtsweg für die Patientinnen und Patienten deutlich verkürzt. (…)
Mit Blick auf die demografische Entwicklung ist klar: Immer mehr ältere Menschen werden in Zukunft von immer weniger Ärztinnen und Ärzten versorgt werden. Ich freue mich daher, dass wir die Studie der Universität Bayreuth ‚VERAH am Ort‘ mit rund 50.000 Euro fördern und damit neue Konzepte entwickeln können, um Versorgungslücken zu vermeiden. Die Studie soll nun dabei helfen, den bisherigen Einsatz der Versorgungsassistentinnen und -assistenten in der Hausarztpraxis weiterzuentwickeln. Mit den VERAH gelingt es uns schon heute, die Hausärztinnen und Hausärzte zu entlasten, etwa bei der Durchführung von Hausbesuchen oder in der Wundversorgung. VERAH kümmern sich dabei bisher vor allem um ältere, immobile und multimorbide Patientinnen und Patienten. Jetzt soll auch die Betreuung mehrerer Patientinnen und Patienten an festen Orten außerhalb der hausärztlichen Praxis untersucht werden.“
Das Team der Universität Bayreuth hatte sich mit dem Konzept, dessen gesundheitsbezogenen, wirtschaftlichen und ethischen Folgen auseinandergesetzt. So fanden und finden weitere Gespräche mit den einzubeziehenden Stellen statt, um die medizinische Eignung und wirtschaftliche Durchführbarkeit zu beweisen, einen rechtlichen Rahmen zu finden und am Ende eine reguläre, abrechenbare Leistung daraus werden zu lassen. Nach vier Jahren Planung wird es jetzt konkret. Es müssen zwar noch Punkte mit Aufsichtsbehörden und Kostenträgern abgestimmt werden, die Studienphase soll aber planmäßig im Frühling beginnen.
Dr. rer. pol. Reiner Hofmann und Julia Bräuer waren deshalb am 30.01.2023 zu Gast in der Lenkungsgruppensitzung der Streutalallianz, um diese über den aktuellen Fortschritt des Projektes und die weiteren Aussichten zu berichten. Derzeit werden mögliche Standorte für die Räume identifiziert und entsprechende ausgewählt.